Predigt am Totensonntag 2019 über Johannes 5,24-29
24 Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort
hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt
nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.
25 Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde.
In manchen Lebensstunden muss mir das niemand sagen. Mir
zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern und die Stunde der Entscheidung kommt. Es kommt die Stunde.
Dieses Wissen treibt mich um. Unruhig und unbehaust ist mein
Tag und in der Nacht kommen die Gedanken. Das Schwere lässt sich weder durch
Arbeit noch durch Vergnügen abschütteln. Der Schlaf weicht den Geistern, die
sich auf meine Bettkante setzen.
In den Tagen, wo alles zu viel wird, da kreisen die Gedanken ruhelos. Dann, wenn ich mich am meisten nach der Kraft der Ruhe und der Geborgenheit sehne, quälen die Nachtschatten am schlimmsten.
Die Zeit verrinnt. Die Stunde wird kommen. Was wird sein?
Liebe Gemeinde,
heute denken wir an die Menschen unserer Gemeinde, die in
diesem Jahr verstorben sind. Für manche in unseren Gottesdiensten liegt dieser
Abschied schon eine Weile zurück. Langsam ahnen sie, dass das Leben ihnen
weiter einen Platz bereithält. Für andere sind die Tage des Abschieds, der Gang
auf dem Friedhof, der Schmerz des Endes noch ganz neu.
Über die Toten zu reden, heißt immer, über uns zu reden. Leicht geht das nicht über die Lippen, wie das war, als ich den Kleiderschrank ausgeräumt habe. Was denken die anderen, wenn ich immer wieder noch am Tisch für ihn decke? Am Schwersten redet es sich über das, was offen blieb. Was wartet auf uns, wenn wir diese Welt verlassen? Welche Bilder steigen mir vom Grund meiner Seele auf? Welche Bilder haben Sie im Herzen?
Stille
25 Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die
Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören, die werden
leben.
26 Denn
wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben,
das Leben zu haben in sich selber;
Es kommt die Stunde und
ist schon jetzt. Das Denken an die
Toten führt uns das Leben vor Augen. Ich erinnere mich an gemeinsam zurück
gelegte Wegstrecken. Der Abschied lenkt aber auch den Blick auf mein Leben,
heute, in diesem Augenblick. Schon jetzt
ist den Toten gegeben, was mir noch verborgen bleibt. Johannes sagt, sie hören
die Stimme Gottes und sie werden leben. Leben.
Das Evangelium schreitet dabei auch durch schwierige
Gedankenwelten. Es redet vom Gericht. Ich erschrecke. Gott hat Christus die Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten,
weil er der Menschensohn ist.
28 Wundert
euch darüber nicht. Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind,
seine Stimme hören werden,
29 und
es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die
aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.
Schwere Kost. Ich hätte sie lieber verschwiegen. Es gibt
doch so viele Erzählungen in der Bibel, die so viel einfühlsamer, tragender und
stärkender sind. Nicht leicht. Andererseits: Wie gnadenlos gehen wir oft mit
uns selber ins Gericht?! Was ich versäumt habe, dem Verstorbenen noch zu sagen,
ihm zu tun… Wo ich ihn verletzt hatte, nicht genügt habe, nicht ehrlich war…
Hartes Gericht! Und manchmal, gerade weil wir uns so sehr vor dem Gericht
fürchten, richten wir dann lieber über andere. Tot und Abschied entkleiden uns
unserer Panzer und Schutzschilde. Wo mir das passiert, fühle ich mich schutzlos
und bekomme Angst – und fange deshalb an zu streiten. Es geht um die letzten
Dinge und die Frage: Was wird sein? Was wird bleiben?
Christus als Richter. Fürchterliche Bilder sind im Laufe der Jahrhunderte von diesem Gericht gemalt worden. Sie bestimmen uns noch heute. Unruhig die Frage: Hat es gereicht? Auf der einen Seite das, was ich geschafft und vollbracht habe, auf der anderen Seite das, worin ich versagt habe – was wird zählen? Unruhig die Frage, ob ich mich verloren habe, ob wir uns verloren haben – oder ob wir auch weiterhin gemeinsam getragen sind? Manche Menschen sind felsenfest voller Zuversicht. Manche immerzu voller Angst und Sorge. Mir geht es mal so und mal so, je nach Stunde, je nach Tag.
Wenn Jesus vom Gericht redet, geht es ihm jedoch nie um das
Urteil eines unbarmherzigen Richters. Im Gegenteil, die christliche Botschaft
vom Gericht ist eine frohe Botschaft. Es ist eine Hoffnungsgeschichte. „Wir
haben als Menschen ein Recht auf das Jüngste Gericht. Wir haben ein Recht
darauf, einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen, wo und wie auch
immer – das weiß nur Gott. Es ist eine Gnade, zu erkennen, wer wir sind und was
wir waren. Wie alles andere, ist es ein Geschenk Gottes, dass wir uns nicht
selber verborgen sind und dass wir uns in allem Gelingen und in allen
Winkelzügen durchschauen können. Es gehört zu unserer Würde, vor Gott und vor
uns selbst nicht versteckt zu bleiben. Gott verstellt uns [erg.: damit] den
Fluchtweg, den Adam und Eva nach ihrem Fall gesucht haben. Wo bist du und wer
bist du?, fragt er und rettet uns vor unserer eigenen Feigheit (…), Dunkelheit
und [erg.: Unbarmherzigkeit gegen uns selber]. So ist das Gericht seiner Frage
und seines Blickes unsere Reinigung und unser Schmerz.“ (Fulbert Steffensky)
Es
kommt die Stunde. Und mit ihr das Ende des bangen Fragens, was wird sein? Es kommt die Stunde, und es wird eine
Gnade sein, zu erkennen, wer wir sind und was wir waren. Das letzte Wort wird
der behalten, der uns mit seiner Liebe ins Leben rief. Ein barmherziger Richter
wartet auf uns, ist heute schon bei uns, der uns zum Recht verhilft; das Recht auf
die grenzenlose Liebe Gottes. Es kommt die Stunde, da werden wir sehen, dass
Gott Richter und Gesetz in einem ist – und dass sein Name „Liebe“ ist – und er
uns beim Namen ruft.
Predigt am Totensonntag 2019 über Johannes 5,24-29
24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.
25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde.
In manchen Lebensstunden muss mir das niemand sagen. Mir zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern und die Stunde der Entscheidung kommt. Es kommt die Stunde.
Dieses Wissen treibt mich um. Unruhig und unbehaust ist mein Tag und in der Nacht kommen die Gedanken. Das Schwere lässt sich weder durch Arbeit noch durch Vergnügen abschütteln. Der Schlaf weicht den Geistern, die sich auf meine Bettkante setzen.
In den Tagen, wo alles zu viel wird, da kreisen die Gedanken ruhelos. Dann, wenn ich mich am meisten nach der Kraft der Ruhe und der Geborgenheit sehne, quälen die Nachtschatten am schlimmsten.
Die Zeit verrinnt. Die Stunde wird kommen. Was wird sein?
Liebe Gemeinde,
heute denken wir an die Menschen unserer Gemeinde, die in diesem Jahr verstorben sind. Für manche in unseren Gottesdiensten liegt dieser Abschied schon eine Weile zurück. Langsam ahnen sie, dass das Leben ihnen weiter einen Platz bereithält. Für andere sind die Tage des Abschieds, der Gang auf dem Friedhof, der Schmerz des Endes noch ganz neu.
Über die Toten zu reden, heißt immer, über uns zu reden. Leicht geht das nicht über die Lippen, wie das war, als ich den Kleiderschrank ausgeräumt habe. Was denken die anderen, wenn ich immer wieder noch am Tisch für ihn decke? Am Schwersten redet es sich über das, was offen blieb. Was wartet auf uns, wenn wir diese Welt verlassen? Welche Bilder steigen mir vom Grund meiner Seele auf? Welche Bilder haben Sie im Herzen?
Stille
25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören, die werden leben.
26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber;
Es kommt die Stunde und ist schon jetzt. Das Denken an die Toten führt uns das Leben vor Augen. Ich erinnere mich an gemeinsam zurück gelegte Wegstrecken. Der Abschied lenkt aber auch den Blick auf mein Leben, heute, in diesem Augenblick. Schon jetzt ist den Toten gegeben, was mir noch verborgen bleibt. Johannes sagt, sie hören die Stimme Gottes und sie werden leben. Leben.
Das Evangelium schreitet dabei auch durch schwierige Gedankenwelten. Es redet vom Gericht. Ich erschrecke. Gott hat Christus die Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.
28 Wundert euch darüber nicht. Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden,
29 und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.
Schwere Kost. Ich hätte sie lieber verschwiegen. Es gibt doch so viele Erzählungen in der Bibel, die so viel einfühlsamer, tragender und stärkender sind. Nicht leicht. Andererseits: Wie gnadenlos gehen wir oft mit uns selber ins Gericht?! Was ich versäumt habe, dem Verstorbenen noch zu sagen, ihm zu tun… Wo ich ihn verletzt hatte, nicht genügt habe, nicht ehrlich war… Hartes Gericht! Und manchmal, gerade weil wir uns so sehr vor dem Gericht fürchten, richten wir dann lieber über andere. Tot und Abschied entkleiden uns unserer Panzer und Schutzschilde. Wo mir das passiert, fühle ich mich schutzlos und bekomme Angst – und fange deshalb an zu streiten. Es geht um die letzten Dinge und die Frage: Was wird sein? Was wird bleiben?
Christus als Richter. Fürchterliche Bilder sind im Laufe der Jahrhunderte von diesem Gericht gemalt worden. Sie bestimmen uns noch heute. Unruhig die Frage: Hat es gereicht? Auf der einen Seite das, was ich geschafft und vollbracht habe, auf der anderen Seite das, worin ich versagt habe – was wird zählen? Unruhig die Frage, ob ich mich verloren habe, ob wir uns verloren haben – oder ob wir auch weiterhin gemeinsam getragen sind? Manche Menschen sind felsenfest voller Zuversicht. Manche immerzu voller Angst und Sorge. Mir geht es mal so und mal so, je nach Stunde, je nach Tag.
Wenn Jesus vom Gericht redet, geht es ihm jedoch nie um das Urteil eines unbarmherzigen Richters. Im Gegenteil, die christliche Botschaft vom Gericht ist eine frohe Botschaft. Es ist eine Hoffnungsgeschichte. „Wir haben als Menschen ein Recht auf das Jüngste Gericht. Wir haben ein Recht darauf, einmal unverhüllt vor dem Antlitz Gottes zu stehen, wo und wie auch immer – das weiß nur Gott. Es ist eine Gnade, zu erkennen, wer wir sind und was wir waren. Wie alles andere, ist es ein Geschenk Gottes, dass wir uns nicht selber verborgen sind und dass wir uns in allem Gelingen und in allen Winkelzügen durchschauen können. Es gehört zu unserer Würde, vor Gott und vor uns selbst nicht versteckt zu bleiben. Gott verstellt uns [erg.: damit] den Fluchtweg, den Adam und Eva nach ihrem Fall gesucht haben. Wo bist du und wer bist du?, fragt er und rettet uns vor unserer eigenen Feigheit (…), Dunkelheit und [erg.: Unbarmherzigkeit gegen uns selber]. So ist das Gericht seiner Frage und seines Blickes unsere Reinigung und unser Schmerz.“ (Fulbert Steffensky)
Es kommt die Stunde. Und mit ihr das Ende des bangen Fragens, was wird sein? Es kommt die Stunde, und es wird eine Gnade sein, zu erkennen, wer wir sind und was wir waren. Das letzte Wort wird der behalten, der uns mit seiner Liebe ins Leben rief. Ein barmherziger Richter wartet auf uns, ist heute schon bei uns, der uns zum Recht verhilft; das Recht auf die grenzenlose Liebe Gottes. Es kommt die Stunde, da werden wir sehen, dass Gott Richter und Gesetz in einem ist – und dass sein Name „Liebe“ ist – und er uns beim Namen ruft.