Predigt zum Volkstrauertag 2023 in St. Sebastian, Ebersberg.
Text: Johannes 8, (1)2-10
1Jesus aber ging zum Ölberg.
2Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.
3Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte
4und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt.
5Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.
8Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.
10Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? 11Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!
Am Anfang steht, wie so oft, das Unrecht.
Und in der Mitte der aufgebrachten Menge steht ein Mensch.
Der Vorwurf wiegt schwer. Ehebruch.
Die anderen sehen sich im Recht. Steinigung.
Die Stimmung ist zum Zerreißen gespannt.
Ein Funke wird genügen, und Gewalt wird sich entladen.
Liebe Gemeinde,
ich habe diesen Evangeliumstext zu unserem Gedenken am heutigen Volkstrauertag gewählt, weil in ihm etwas geschieht, was sehr selten in aufgeheizten Konfliktsituationen ist.
Die deutlichste Stimme ist jene, die überhaupt nicht zu hören ist.
Jesu Schweigen ist beinah donnernd.
Aufgeregte Rufe, Geschrei, dazwischen ein Mensch, dem es ans Leben gehen soll – und Jesus kritzelt im Staub der Erde herum: Und schweigt!
Damit wendet er die Situation. Sein Schweigen, sein Rückverweis auf das Selbstbild der Ankläger – wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein – und seine Weigerung, sich auf die tödliche Logik der Situation überhaupt einzulassen, unterbricht den Fortgang des scheinbar Zwangsläufigen.
Wie viele Konflikte entstehen aus Unrecht? Klare Rechtsverstöße, subjektiv empfundenes Unrecht, unterdrückenden Machtphantasien – Unrechtserfahrung ist Alltagserfahrung.
Um die Logik der Gewalt zu begreifen, müssen wir gar nicht in die Ukraine, den Nahen Osten oder in ein anderes der geschundenen Länder dieser Welt blicken. Da reicht der Blick in Klassen- und Kinderzimmer, in denen die Fetzen fliegen, in Beziehungen, in denen die Liebe der gegenseitigen Verletzung weichen musste oder die vielen Nachbarschaftsstreitigkeiten.
Konflikte gehören zum Leben. Nicht jeder Konflikt eskaliert in maßloser Gewalt. Zum Glück. Dort, wo ein Streit beigelegt werden kann, ist es meistens einem der Beteiligten gelungen, einen Schritt zurück zu treten und innezuhalten; der erste Schritt zur Versöhnung. Oder es gab jemand Dritten, der Lautstärke nicht mit Lautstärke zu übertönen suchte, sondern ganz leise – und darum mit unwiderstehlichem Nachdruck – neue Wege aufgewiesen hat.
Der große Schrecken aller Kriege ist für mich ein zweifacher: Zum einen die unzähligen Opfer, die sie fordern: Die Toten, die Verstümmelten an Leib und Seele und die Trauernden. Zum anderen, dass die leisen Stimmen des Friedens ebenfalls getötet, mundtot gemacht werden. Sie gehören stets mit zu den ersten Opfern eines Krieges.
Dabei sind es doch gerade jene Menschen, die selbst in größter Bedrohung und schlimmster Gewalterfahrung im Gegenüber, ja, sogar im Gegner, immer noch den Menschen sehen, welche die Friedensperspektive lebendig halten.
Die leisen Stimmen des Friedens sind die ersten Opfer des Krieges. Sie gehen so schnell unter im Getöse zwischenmenschlichen Streits und politischer Auseinandersetzungen.
„Jesus aber bückte sich und schrieb auf die Erde…“ Leise und still. Und die Logik der Gewalt wird durchbrochen. Statt Tod gibt es einen Neuanfang.
Liebe Gemeinde,
Christus hat uns in seine Nachfolge gerufen. Er hat uns Frieden verheißen und uns aufgetragen, Friedensstifter zu werden.
Du sagst, was kann ich schon ausrichten? Auf mich hört doch eh keiner. Ich bin nur eine Stimme unter vielen…
Vertraut auf die Kraft Eurer leisen Stimmen! Und sucht überall dort die stillen Friedensstimmen, wo sie im Lärm des Streits untergehen zu drohen. Helft Ihnen! Beschützt sie! Vertraut ihrer Stärke! Aus ihnen erwächst neues Leben.
Pfarrer Edzard Everts
Predigt zum Volkstrauertag 2023 in St. Sebastian, Ebersberg.
Text: Johannes 8, (1)2-10
Am Anfang steht, wie so oft, das Unrecht.
Und in der Mitte der aufgebrachten Menge steht ein Mensch.
Der Vorwurf wiegt schwer. Ehebruch.
Die anderen sehen sich im Recht. Steinigung.
Die Stimmung ist zum Zerreißen gespannt.
Ein Funke wird genügen, und Gewalt wird sich entladen.
Liebe Gemeinde,
ich habe diesen Evangeliumstext zu unserem Gedenken am heutigen Volkstrauertag gewählt, weil in ihm etwas geschieht, was sehr selten in aufgeheizten Konfliktsituationen ist.
Die deutlichste Stimme ist jene, die überhaupt nicht zu hören ist.
Jesu Schweigen ist beinah donnernd.
Aufgeregte Rufe, Geschrei, dazwischen ein Mensch, dem es ans Leben gehen soll – und Jesus kritzelt im Staub der Erde herum: Und schweigt!
Damit wendet er die Situation. Sein Schweigen, sein Rückverweis auf das Selbstbild der Ankläger – wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein – und seine Weigerung, sich auf die tödliche Logik der Situation überhaupt einzulassen, unterbricht den Fortgang des scheinbar Zwangsläufigen.
Wie viele Konflikte entstehen aus Unrecht? Klare Rechtsverstöße, subjektiv empfundenes Unrecht, unterdrückenden Machtphantasien – Unrechtserfahrung ist Alltagserfahrung.
Um die Logik der Gewalt zu begreifen, müssen wir gar nicht in die Ukraine, den Nahen Osten oder in ein anderes der geschundenen Länder dieser Welt blicken. Da reicht der Blick in Klassen- und Kinderzimmer, in denen die Fetzen fliegen, in Beziehungen, in denen die Liebe der gegenseitigen Verletzung weichen musste oder die vielen Nachbarschaftsstreitigkeiten.
Konflikte gehören zum Leben. Nicht jeder Konflikt eskaliert in maßloser Gewalt. Zum Glück. Dort, wo ein Streit beigelegt werden kann, ist es meistens einem der Beteiligten gelungen, einen Schritt zurück zu treten und innezuhalten; der erste Schritt zur Versöhnung. Oder es gab jemand Dritten, der Lautstärke nicht mit Lautstärke zu übertönen suchte, sondern ganz leise – und darum mit unwiderstehlichem Nachdruck – neue Wege aufgewiesen hat.
Der große Schrecken aller Kriege ist für mich ein zweifacher: Zum einen die unzähligen Opfer, die sie fordern: Die Toten, die Verstümmelten an Leib und Seele und die Trauernden. Zum anderen, dass die leisen Stimmen des Friedens ebenfalls getötet, mundtot gemacht werden. Sie gehören stets mit zu den ersten Opfern eines Krieges.
Dabei sind es doch gerade jene Menschen, die selbst in größter Bedrohung und schlimmster Gewalterfahrung im Gegenüber, ja, sogar im Gegner, immer noch den Menschen sehen, welche die Friedensperspektive lebendig halten.
Die leisen Stimmen des Friedens sind die ersten Opfer des Krieges. Sie gehen so schnell unter im Getöse zwischenmenschlichen Streits und politischer Auseinandersetzungen.
„Jesus aber bückte sich und schrieb auf die Erde…“ Leise und still. Und die Logik der Gewalt wird durchbrochen. Statt Tod gibt es einen Neuanfang.
Liebe Gemeinde,
Christus hat uns in seine Nachfolge gerufen. Er hat uns Frieden verheißen und uns aufgetragen, Friedensstifter zu werden.
Du sagst, was kann ich schon ausrichten? Auf mich hört doch eh keiner. Ich bin nur eine Stimme unter vielen…
Vertraut auf die Kraft Eurer leisen Stimmen! Und sucht überall dort die stillen Friedensstimmen, wo sie im Lärm des Streits untergehen zu drohen. Helft Ihnen! Beschützt sie! Vertraut ihrer Stärke! Aus ihnen erwächst neues Leben.
Pfarrer Edzard Everts