Lehren aus einer Bäckerei.
Aufgewachsen bin ich in einer erzkatholischen Gegend.
Samstags wurde der Gehweg gekehrt. Das gehörte sich so. Und das musste bis
spätestens 17.30 Uhr erledigt sein, denn dann riefen die Glocken zur
Vorabendmesse um 18 Uhr. Damit begann der Sonntag. Da durfte nicht mehr
gearbeitet werden. Das Wochenende begann am Samstagabend, auch für uns als
evangelische Familie. Tradition und Ritual. So war das – jede Woche.
Und dann gab es noch diese sonderbaren Tage, die sich
alljährlich wiederholten. Einer davon war der Aschermittwoch. Für mich als Kind
hat sich der Aschermittwoch beim Bäcker vollzogen. Der Bäcker war direkt
nebenan. Noch heute ist dieser Bäcker ein gewichtiges Zusatzargument, meine
Eltern mal wieder zu besuchen. Nirgends habe ich solche Semmeln – Brötchen
heißen sie dort – wieder gefunden, wie es sie bei ihm gibt. Der Aschermittwoch
war für mich ein trauriger Tag. Denn auf einmal gab es keine Krapfen mehr. Dass
viele meiner Mitschüler tags drauf mit einem mehr oder weniger verblassten
grau-schwarzen Kreuz auf der Stirn in der Schule erschienen war seltsam. Aber
dass es keine Krapfen mehr gab, war wirklich traurig.
Ich liebte die Krapfen. Es war ein Festtag, wenn sie eines Tages auf einmal wieder in der Auslage mich anlachten. Ich liebte auch seine Brötchen. Und den Streuselkuchen. Und ganz besonders sein Rosinengebäck. Glauben Sie mir, so was kenne Sie hier gar nicht! Und die Krapfen. Krapfenzeit war eine eigene Jahreszeit in meiner damaligen Zeitrechnung. Und dann waren sie von einem Tag auf den anderen verschwunden. Dann hieß es wieder warten, lange warten. Bis sie eines Tages wieder vor der Kindernase lagen. Tradition und Ritual. Aschekreuz und Krapfen. Das eine auf einmal da, das andere auf einmal weg.
Rituale sind wie gute Erzählungen. Eine gute Erzählung
erklärt nicht, sondern lässt eine Geschichte lebendig werden. Sie lässt den
frühmorgendlichen Duft aus der Backstube wieder in der Nase kitzeln. In eine
gute Erzählung kann ich meine eigene, individuelle Geschichte mit hinein hören,
ja, hineinschreiben. Jeder gute Film funktioniert so. Jede einfühlsam erzählte
Gute-Nachtgeschichte an einem Kinderbett öffnet diesen Raum; meine Ängste und
meine Träume, Erfahrungen vom Gelingen und Misslingen, die Brüche meines Lebens
und meine Sehnsucht nach Ganz-Sein – all das kann ich in eine gute Erzählung
mit hineinhören. Eine gute Erzählung lässt mich selber zum Autor werden.
Ähnlich verhält es sich mit Ritualen. Auch sie erklären nicht. Die Glocken am Samstagabend erzählten mir vom Rhythmus des Lebens, vom Wechsel zwischen Arbeit oder Schule und dem einen Tag des Sein-Lassens, auf Zeiten des Mühens die Zeit der Ruhe, nach der Zeit des Kraftschöpfens wieder die Zeit des Tuns. Auch der Bäcker erzählte mir auf seine Weise, mit seinem Ritual, etwas vom Leben. Keine Krapfen mehr – die Passionszeit hatte begonnen. Niemand musste dem Kind damals etwas erklären. Heute sind für mich die Rituale unseres Glaubens Erzählungen vom Weinen und vom Lachen, von der Vergeblichkeit unseres Wollens und vom Geschenk der Gnade, vom Leben und vom Sterben, vom Verzagen und vom Hoffen.
Diese Erinnerung ist es, die mich lockte, heute bei Ihnen an
einem Aschermittwoch zu predigen. Aschermittwoch in einer evangelischen Kirche.
Für den evangelischen Pfarrer, der hier steht, verbinden sich an diesem Abend
auf einmal verschiedene biografische Fäden. Eine Predigt zum Beginn der
Fastenzeit. Soll es eine Predigt über das Fasten werden? Warum nicht. Und so
habe ich den Predigttext für den heutigen Tag aufgeschlagen – und dachte: Oh!
Hören Sie selbst aus dem Evangelium nach Matthäus im 9.
Kapitel:
Die Frage nach dem
Fasten
14 Da kamen die
Jünger des Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so
viel und deine Jünger fasten nicht?
15 Jesus sprach
zu ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste Leid tragen, solange der Bräutigam bei
ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen
wird; dann werden sie fasten.
16 Niemand flickt
ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch
wieder vom Kleid ab und der Riss wird ärger.
17 Man füllt auch
nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche und der Wein
wird verschüttet und die Schläuche verderben. Sondern man füllt neuen Wein in
neue Schläuche, so bleiben beide miteinander erhalten.
Heute beginnt die Passionszeit, die von vielen Menschen auch
als Fastenzeit begangen wird. Und was bekommen wir zu hören? Die Jünger Jesu
haben gar nicht gefastet. Und Jesus verteidigt das auch noch. Was soll das
jetzt für uns bedeuten? Ist das Fasten falsch? Und dann noch dieses kryptische,
rätselhaft Wort über das Flicken und den Wein in alten oder jungen Schläuchen.
In der evangelischen Kirche wird dieses Evangeliumswort nur
selten rezipiert. Die Menge an Predigtliteratur ist ziemlich überschaubar. In
der katholischen Theologie sieht das etwas anders aus. Vor allem im
Zusammenhang mit dem Aufbruch durch das II. Vatikanische Konzil verband sich
für viele katholische Christen im Wort von dem neuen Wein in neuen Schläuchen
ein Bild der Hoffnung. Es war der Wunsch, dass alte Rituale, die unverständlich
geworden waren und damit hohl und leer, beiseitegelegt werden dürfen. Damit
neue Ausdrucksformen gefunden werden können, neue Rituale für den köstlichen
Wein der Liebe Gottes. Eine Botschaft, die an sich so frisch und jung ist, dass
ihre Wildheit, ihre Unausgewogenheit, ihre Lebendigkeit jeden alten Schlauch
überstrapazieren würde.
Und dann habe ich noch etwas anderes entdeckt, dass mich
erschreckt hat. Ich finde es fürchterlich. Ich erzähle auch davon, weil ich
glaube, dass es eine Gefahr darstellt, der wir niemals mehr erliegen dürfen.
Schlimm sind die Deutungen vom alten und jungen Wein und alten und neuen
Schläuchen, die eine Theorie der antijudaistischen Überbietung postulieren: Mit
Jesus hätten sich die alten Erzählungen vom Glauben, die Geschichten von Gott
und Menschen des Alten Testaments und damit auch die dazugehörigen Rituale, die
ja auch Erzählungen sind, erledigt.
War es falsch, dass die Jünger des Johannes fasteten und die Pharisäer? Ist es falsch, wenn wir heute fasten? Meine Antwort lautet so – und ich traue mich nur, es jetzt in dieser Form zu formulieren, weil ich glaube, Sie wissen genau, was ich meine: Nein es war nicht falsch. Die Jünger Jesu fasteten nicht, weil Krapfenzeit war. Aber die ging vorbei. Jesus selber ging in die Wüste, so erzählt es das Lukasevangelium, um zu fasten, um sich vorzubereiten auf den kommenden Weg. Aber in dem Moment, damals im Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern des Johannes, da war Krapfenzeit. Jesus redet von den fröhlichen Hochzeitsgästen. Freudenzeit. Festtage.
An Festtagen zu fasten ist so sinnig, wie jungen Wein in
alte Schläuche zu füllen, die er gleich zerreißen wird. Unsinnig ist aber auch,
nach außen ein Vergnügen zu inszenieren, wenn im Innern die Seele weint.
Liebe Gemeinde, damit bin ich wieder bei einem meiner
Lieblingsthemen, dem Erzählen. Sie merken schon, ich habe einen sehr weiten
Begriff vom Erzählen. Wenn wir heute gemeinsam Gottesdienst feiern, dann
begeben wir uns in diese unfassbare Erzählung von der Liebe Gottes zu uns
Menschen hinein. Wo immer Menschen sich besinnen auf Gott, wenn sie einander
von ihren Erfahrungen mit ihm erzählen, sei es in Worten, sei es in Ritualen,
da öffnet sich ein Raum, in den hinein ich mein eigenes Leben erzählen kann.
Und dieses Leben besteht nicht nur aus Festzeiten. Es ist umfangen vom Tod. Da gehört mein Scheitern an Grenzen dazu, die mir von außen gesetzt sind. Da gehören meine inneren Begrenzungen zu dazu. Dazu gehört, dass ich an meinem Nächsten immer wieder schuldig werde und immer wieder mich in dem Versuch verrenne, mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Da sind die unsäglichen Versuche zur weiteren Selbstoptimierung, die am Ende nur ein weiterer Ausdruck meines Scheiterns sind.
Darum alles zu seiner Zeit. Das hat mir der Bäcker neben meinem Elternhaus beigebracht. Heute beginnt die Zeit, in der wir von der Gefährdung des Lebens erzählen, wie fragil und zerbrechlich es ist, von unseren Ängsten und unseren Schwächen, von unserer Bedürftigkeit und unserer Sehnsucht. Lasst uns davon erzählen, nicht weil wir Lust am Schmerz haben – dieses Fasten lehnte Jesus so ausdrücklich ab wie jenes zur reinen Selbstdarstellung – sondern weil wir schon längst hineingewoben sind in eine Erzählung, die Gott selbst gesponnen hat. Wir dürfen uns anschauen, wie wir sind, weil da einer ist, der uns heute schon so sieht, wie er uns gedacht hat. Auch diese Zeit wird enden. Mit der Geschichte von Ostern, dem Sieg des Lebens über den Tod.
Lasst uns davon erzählen. So wie ich gerade, mit Worten. Oder mit Ritualen, Zeichen, wie dem Aschekreuz. Oder den Ritualen, die wir schmecken können, süß wie Krapfen, die aber dann auch schmerzhaft fehlen – oder worauf Sie vielleicht in den kommenden Wochen bewusst verzichten wollen. Ja, auch das Fasten ist eine Erzählung. Es erzählt vom Menschen, der sich selber nicht geben kann, was er doch so dringend braucht. Damit verweist es auf Gott, und schafft ihm Raum in mir, dass er sich mit all seiner Liebe in mich hineinschreiben kann.
Predigt zum Gottesdienst am Aschermittwoch, 26.02.2020. Gehalten in der Karolinenkirche, Großkarolinenfeld.
Lehren aus einer Bäckerei.
Aufgewachsen bin ich in einer erzkatholischen Gegend. Samstags wurde der Gehweg gekehrt. Das gehörte sich so. Und das musste bis spätestens 17.30 Uhr erledigt sein, denn dann riefen die Glocken zur Vorabendmesse um 18 Uhr. Damit begann der Sonntag. Da durfte nicht mehr gearbeitet werden. Das Wochenende begann am Samstagabend, auch für uns als evangelische Familie. Tradition und Ritual. So war das – jede Woche.
Und dann gab es noch diese sonderbaren Tage, die sich alljährlich wiederholten. Einer davon war der Aschermittwoch. Für mich als Kind hat sich der Aschermittwoch beim Bäcker vollzogen. Der Bäcker war direkt nebenan. Noch heute ist dieser Bäcker ein gewichtiges Zusatzargument, meine Eltern mal wieder zu besuchen. Nirgends habe ich solche Semmeln – Brötchen heißen sie dort – wieder gefunden, wie es sie bei ihm gibt. Der Aschermittwoch war für mich ein trauriger Tag. Denn auf einmal gab es keine Krapfen mehr. Dass viele meiner Mitschüler tags drauf mit einem mehr oder weniger verblassten grau-schwarzen Kreuz auf der Stirn in der Schule erschienen war seltsam. Aber dass es keine Krapfen mehr gab, war wirklich traurig.
Ich liebte die Krapfen. Es war ein Festtag, wenn sie eines Tages auf einmal wieder in der Auslage mich anlachten. Ich liebte auch seine Brötchen. Und den Streuselkuchen. Und ganz besonders sein Rosinengebäck. Glauben Sie mir, so was kenne Sie hier gar nicht! Und die Krapfen. Krapfenzeit war eine eigene Jahreszeit in meiner damaligen Zeitrechnung. Und dann waren sie von einem Tag auf den anderen verschwunden. Dann hieß es wieder warten, lange warten. Bis sie eines Tages wieder vor der Kindernase lagen. Tradition und Ritual. Aschekreuz und Krapfen. Das eine auf einmal da, das andere auf einmal weg.
Rituale sind wie gute Erzählungen. Eine gute Erzählung erklärt nicht, sondern lässt eine Geschichte lebendig werden. Sie lässt den frühmorgendlichen Duft aus der Backstube wieder in der Nase kitzeln. In eine gute Erzählung kann ich meine eigene, individuelle Geschichte mit hinein hören, ja, hineinschreiben. Jeder gute Film funktioniert so. Jede einfühlsam erzählte Gute-Nachtgeschichte an einem Kinderbett öffnet diesen Raum; meine Ängste und meine Träume, Erfahrungen vom Gelingen und Misslingen, die Brüche meines Lebens und meine Sehnsucht nach Ganz-Sein – all das kann ich in eine gute Erzählung mit hineinhören. Eine gute Erzählung lässt mich selber zum Autor werden.
Ähnlich verhält es sich mit Ritualen. Auch sie erklären nicht. Die Glocken am Samstagabend erzählten mir vom Rhythmus des Lebens, vom Wechsel zwischen Arbeit oder Schule und dem einen Tag des Sein-Lassens, auf Zeiten des Mühens die Zeit der Ruhe, nach der Zeit des Kraftschöpfens wieder die Zeit des Tuns. Auch der Bäcker erzählte mir auf seine Weise, mit seinem Ritual, etwas vom Leben. Keine Krapfen mehr – die Passionszeit hatte begonnen. Niemand musste dem Kind damals etwas erklären. Heute sind für mich die Rituale unseres Glaubens Erzählungen vom Weinen und vom Lachen, von der Vergeblichkeit unseres Wollens und vom Geschenk der Gnade, vom Leben und vom Sterben, vom Verzagen und vom Hoffen.
Diese Erinnerung ist es, die mich lockte, heute bei Ihnen an einem Aschermittwoch zu predigen. Aschermittwoch in einer evangelischen Kirche. Für den evangelischen Pfarrer, der hier steht, verbinden sich an diesem Abend auf einmal verschiedene biografische Fäden. Eine Predigt zum Beginn der Fastenzeit. Soll es eine Predigt über das Fasten werden? Warum nicht. Und so habe ich den Predigttext für den heutigen Tag aufgeschlagen – und dachte: Oh!
Hören Sie selbst aus dem Evangelium nach Matthäus im 9. Kapitel:
Die Frage nach dem Fasten
14 Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel und deine Jünger fasten nicht?
15 Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten.
16 Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid ab und der Riss wird ärger.
17 Man füllt auch nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche und der Wein wird verschüttet und die Schläuche verderben. Sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche, so bleiben beide miteinander erhalten.
Heute beginnt die Passionszeit, die von vielen Menschen auch als Fastenzeit begangen wird. Und was bekommen wir zu hören? Die Jünger Jesu haben gar nicht gefastet. Und Jesus verteidigt das auch noch. Was soll das jetzt für uns bedeuten? Ist das Fasten falsch? Und dann noch dieses kryptische, rätselhaft Wort über das Flicken und den Wein in alten oder jungen Schläuchen.
In der evangelischen Kirche wird dieses Evangeliumswort nur selten rezipiert. Die Menge an Predigtliteratur ist ziemlich überschaubar. In der katholischen Theologie sieht das etwas anders aus. Vor allem im Zusammenhang mit dem Aufbruch durch das II. Vatikanische Konzil verband sich für viele katholische Christen im Wort von dem neuen Wein in neuen Schläuchen ein Bild der Hoffnung. Es war der Wunsch, dass alte Rituale, die unverständlich geworden waren und damit hohl und leer, beiseitegelegt werden dürfen. Damit neue Ausdrucksformen gefunden werden können, neue Rituale für den köstlichen Wein der Liebe Gottes. Eine Botschaft, die an sich so frisch und jung ist, dass ihre Wildheit, ihre Unausgewogenheit, ihre Lebendigkeit jeden alten Schlauch überstrapazieren würde.
Und dann habe ich noch etwas anderes entdeckt, dass mich erschreckt hat. Ich finde es fürchterlich. Ich erzähle auch davon, weil ich glaube, dass es eine Gefahr darstellt, der wir niemals mehr erliegen dürfen. Schlimm sind die Deutungen vom alten und jungen Wein und alten und neuen Schläuchen, die eine Theorie der antijudaistischen Überbietung postulieren: Mit Jesus hätten sich die alten Erzählungen vom Glauben, die Geschichten von Gott und Menschen des Alten Testaments und damit auch die dazugehörigen Rituale, die ja auch Erzählungen sind, erledigt.
War es falsch, dass die Jünger des Johannes fasteten und die Pharisäer? Ist es falsch, wenn wir heute fasten? Meine Antwort lautet so – und ich traue mich nur, es jetzt in dieser Form zu formulieren, weil ich glaube, Sie wissen genau, was ich meine: Nein es war nicht falsch. Die Jünger Jesu fasteten nicht, weil Krapfenzeit war. Aber die ging vorbei. Jesus selber ging in die Wüste, so erzählt es das Lukasevangelium, um zu fasten, um sich vorzubereiten auf den kommenden Weg. Aber in dem Moment, damals im Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern des Johannes, da war Krapfenzeit. Jesus redet von den fröhlichen Hochzeitsgästen. Freudenzeit. Festtage.
An Festtagen zu fasten ist so sinnig, wie jungen Wein in alte Schläuche zu füllen, die er gleich zerreißen wird. Unsinnig ist aber auch, nach außen ein Vergnügen zu inszenieren, wenn im Innern die Seele weint.
Liebe Gemeinde, damit bin ich wieder bei einem meiner Lieblingsthemen, dem Erzählen. Sie merken schon, ich habe einen sehr weiten Begriff vom Erzählen. Wenn wir heute gemeinsam Gottesdienst feiern, dann begeben wir uns in diese unfassbare Erzählung von der Liebe Gottes zu uns Menschen hinein. Wo immer Menschen sich besinnen auf Gott, wenn sie einander von ihren Erfahrungen mit ihm erzählen, sei es in Worten, sei es in Ritualen, da öffnet sich ein Raum, in den hinein ich mein eigenes Leben erzählen kann.
Und dieses Leben besteht nicht nur aus Festzeiten. Es ist umfangen vom Tod. Da gehört mein Scheitern an Grenzen dazu, die mir von außen gesetzt sind. Da gehören meine inneren Begrenzungen zu dazu. Dazu gehört, dass ich an meinem Nächsten immer wieder schuldig werde und immer wieder mich in dem Versuch verrenne, mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Da sind die unsäglichen Versuche zur weiteren Selbstoptimierung, die am Ende nur ein weiterer Ausdruck meines Scheiterns sind.
Darum alles zu seiner Zeit. Das hat mir der Bäcker neben meinem Elternhaus beigebracht. Heute beginnt die Zeit, in der wir von der Gefährdung des Lebens erzählen, wie fragil und zerbrechlich es ist, von unseren Ängsten und unseren Schwächen, von unserer Bedürftigkeit und unserer Sehnsucht. Lasst uns davon erzählen, nicht weil wir Lust am Schmerz haben – dieses Fasten lehnte Jesus so ausdrücklich ab wie jenes zur reinen Selbstdarstellung – sondern weil wir schon längst hineingewoben sind in eine Erzählung, die Gott selbst gesponnen hat. Wir dürfen uns anschauen, wie wir sind, weil da einer ist, der uns heute schon so sieht, wie er uns gedacht hat. Auch diese Zeit wird enden. Mit der Geschichte von Ostern, dem Sieg des Lebens über den Tod.
Lasst uns davon erzählen. So wie ich gerade, mit Worten. Oder mit Ritualen, Zeichen, wie dem Aschekreuz. Oder den Ritualen, die wir schmecken können, süß wie Krapfen, die aber dann auch schmerzhaft fehlen – oder worauf Sie vielleicht in den kommenden Wochen bewusst verzichten wollen. Ja, auch das Fasten ist eine Erzählung. Es erzählt vom Menschen, der sich selber nicht geben kann, was er doch so dringend braucht. Damit verweist es auf Gott, und schafft ihm Raum in mir, dass er sich mit all seiner Liebe in mich hineinschreiben kann.
Predigt zum Gottesdienst am Aschermittwoch, 26.02.2020. Gehalten in der Karolinenkirche, Großkarolinenfeld.